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Medienmitteilung
Bern, 9. September 2009

Diplomatischer Sieg – völkerrechtliche Kapitulation

Die Gesellschaft Schweiz-Armenien (GSA) begrüsst die Annäherung zwischen Armenien und der Türkei. Sie freut sich, dass diese durch die Schweiz ermöglicht wurde, hat aber diesbezüglich auch Vorbehalte. Andererseits warnt die GSA davor, im Zuge dieser Gespräche die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern und das Selbstbestimmungsrecht Karabakhs infrage zu stellen. Denn der tatsächliche Grund für die von der Schweiz angebahnte Annäherung ist der Wunsch der USA, der EU und Russlands, die Öl- und Gasvorkommen in der Region besser nutzen zu können.

Schweizer Diplomatie hat es ermöglicht, dass Armenien und die Türkei einander schrittweise entgegenkommen wollen. Die GSA begrüsst das und ist der festen Meinung, dass die Zeit gekommen ist, wo Armenien und die Türkei ihre bilateralen Probleme lösen müssen. Dabei darf aber die historische Verantwortung der Türkei für den Völkermord an den Armeniern von 1915 nicht einfach unter dem Teppich gekehrt werden. Und es dürfen keine Vorbedingungen im Zusammenhang mit dem Karabakh-Konflikt gestellt werden. Doch die am letzten 31. August veröffentlichten Protokolle zwischen Armenien und der Türkei, die von den entsprechenden Parlamenten binnen 6 Wochen ratifiziert werden sollen, enthalten neben einer Reihe von verständlichen Absichtserklärungen sehr wohl solche Vorbedingungen (s. beigelegte Stellungnahme), die die Position Armeniens im Konflikt mit Aserbeidschan deutlich schwächen. Auch die in den Protokollen enthaltenen Aussagen zur Völkermorddebatte sind fragwürdig und für Armenien sehr unvorteilhaft.

Interesse von Armenien ungenügend wahrgenommen

Der Druck zur Beilegung des Konflikts kommt nicht nur aus den USA und der EU, sondern auch von Russland. Daher stehen viele Punkte in beiden Protokollen grundsätzlich gegen die Interessen Armeniens. Die Türkei handelt aufgrund ihrer regionalpolitisch wachsenden Position (Erdgas-Verträge mit Russland/South Stream, und mit der EU/Nabucco). Sie engagiert sich denn auch viel stärker und erhofft sich von diesen Protokollen die Macht und die Befugnis, in Zukunft jegliche Forderung nichtig zu machen. So sind neben der verweigerten Völkermord- Anerkennung zum Beispiel die Rechte der heutigen armenischen Minderheit und die Erhaltung ihrer historischen Bausubstanz in der Türkei, aber auch in Aserbeidschan und Georgien gefährdet.

Fragwürdiges Nutzen einer Expertenkommission mit «geschichtlichen Dimension» Die Bildung einer Unterkommission für die Analyse der «geschichtlichen Dimension» und für die «Definition der gegenwärtigen Probleme» bekommt ein internationales Profil, an dem die Schweiz direkt beteiligt ist. Diese Kommission stellt aber keine massgebende Lösung des wichtigsten völkerrechtlichen Konfliktes dar. Im Gegenteil: sie spielt mit der legitimen Gerechtigkeitserwartung des armenischen Volkes. Das Ziel der Kommission ist sehr problematisch. Das Gremium scheint viel eher an einer Neudefinition der Ereignisse interessiert zu sein – was eine schlichte Infragestellung des Völkermordes bedeutet –, als an einer Vertiefung der tatsächlichen Umstände des Genozids. Dazu kommt, dass die Kommission lediglich empfehlender Natur sein wird und deren Resultate auf keinen Fall völkerrechtlich bindend sein werden. Es wird der Anschein erweckt, Sinn dieses Expertengremiums sei die Wiedergewinnung des gegenseitigen Vertrauens. Dazu wird im Protokoll von den beiden «Nationen» gesprochen. Die armenische Diaspora jedoch, der grösste Teil des armenischen Volkes und das direkte «Produkt» dieses Genozids, wird in den Protokollen nicht erwähnt und erhält somit keine Rolle zugeteilt um zur Lösung des ganzen Komplexes beizutragen. Die Expertenkommission macht aus historisch-wissenschaftlicher Sicht daher wenig Sinn und ihre Dienlichkeit ist sehr begrenzt, wenn nicht schädlich. Denn Dutzende von umfassenden Expertisen der UNO und anderer internationaler Organisationen haben längst erbracht, dass die «Ereignisse» von 1915 ein Völkermord waren, dem rund 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen. Anders sieht das die Türkei. Sie ist die legale Nachfolgerin des osmanischen Reiches, das die Verantwortung für den Völkermord an den Armeniern hat. Bis heute verweigert die Türkei aber nicht nur die Anerkennung dieses Verbrechens, sondern sie setzt alle Mittel in Bewegung, um dieses Delikt zu leugnen. Deshalb gibt die Türkei vor, Dialogbereitschaft zu zeigen, die aber in Tat und Wahrheit nicht existiert: Das einzige konkrete Ziel der Türkei ist, die internationale Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern zu neutralisieren.

Rolle der Schweiz

Bei Lichte betrachtet erscheint die Schweiz als Vermittlerin, die sich von ihren eigenen Grundprinzipien, die als Basis ihres Rechtstaates gelten, entfernt hat. Zum Beispiel das Selbstbestimmungsrecht, das in diesen Protokollen kaum erwähnt wird. Diesem Prinzip aber hatte die Schweiz klare Priorität auf dem Weg des Kosovos in die Unabhängigkeit gegeben. Zudem hat die Judikative der Schweiz im Negationismus-Rechtsfall gegen Dogu Perincek am 12. Dezember 2007 Rechtsgeschichte geschrieben, indem der Völkermord an den Armeniern als international bekannt definiert worden ist. Die GSA würde begrüssen, wenn die Schweiz diese Grundprinzipien auch in der armenischen Frage umsetzen würde.

Kontakt: Sarkis Shahinian, Präsident der GSA; Mobil: 076 399 16 25;
shahinian@armenian.ch; www.armenian.ch/gsa

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