In seiner Entscheidung 2012-647 DC vom 28. Februar 2012 hat sich der französische Verfassungsrat gegen das sog. „Völkermord-Gesetz“ entschieden. Das Gesetz zur Bestrafung der Leugnung von Völkermorden sieht für das Leugnen eines in Frankreich anerkannten Völkermordes eine Haftstrafe von einem Jahr und Geldstrafen von bis zu 45.000 Euro vor. Die Arbeitsgruppe Anerkennung hatte dieses Gesetz als Schutz für die Opfer und ihre Nachfahren vor den Spätwirkungen eines Völkermords ausdrücklich begrüßt und eine entsprechende Änderung des deutschen Strafrechts im Sinne einer Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 130 Absatz 3 StGB gefordert.

Aufgrund der Anrufung mehrerer Abgeordneter und Senatoren am 31. Januar 2012 hatte der Verfassungsrat Frankreichs über die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes zu entscheiden. In seiner relativ kurzen Entscheidung befindet der Verfassungsrat, dass die Bestrafung der Leugnung von Völkermorden, die vom Gesetzgeber selber als Völkermord anerkannt wurden, einen verfassungswidrigen Angriff gegen die Meinungsfreiheit darstelle und dass somit das Gesetz verfassungswidrig sei (siehe insbesondere Nr. 6 der Entscheidung).

Die Arbeitsgruppe Anerkennung bedauert diese Entscheidung und nimmt hierzu wie folgt Stellung:

Der französische Verfassungsrat stellt zwar die höchste Kontrollinstanz im Gesetzgebungsverfahren dar; er ist jedoch nicht mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht zu vergleichen, das als richterliche und von der Exekutive gesonderte Gerichtsbarkeit gestaltet ist. Die Entscheidung vom 28.02.2012 lässt zudem eine schlüssige Argumentation vermissen. Nicht nachvollziehbar ist insbesondere, inwiefern die Anerkennung eines Völkermords einerseits und andererseits die Bestrafung seiner Leugnung einen verfassungswidrigen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstellt. Dass das Gesetz vom 23. Januar 2012 in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit eingreift, ist evident. Dieser Eingriff ist aber durch den Schutz der Opfer und ihrer Nachfahren gerechtfertigt. Denn die Leugnung eines Völkermords stellt dessen letzte, integrale Etappe dar. Somit drängt sich der Verdacht auf, dass diese Entscheidung eher politisch motiviert wurde, was nicht zuletzt auf die Besetzungsregeln des Verfassungsrats zurückzuführen ist.

Verwunderlich ist diese Entscheidung ferner im europäischen Kontext. Am 20. April 2007 hatte sich der Rat der EU-Justizministerinnen und -minister politisch auf einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geeinigt. Dieser Rahmenbeschluss sah eine Mindestharmonisierung von Strafvorschriften zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vor. Erfasst durch diese Strafvorschriften waren unter anderem die rassistische oder fremdenfeindliche Hetze, die öffentliche Billigung, Leugnung oder grobe Verharmlosung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die Entscheidung des Verfassungsrats steht in direktem Widerspruch hierzu.

Schließlich stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Entscheidung vom 28. Februar 2012 auf das Loi Gayssot haben könnte, das die Leugnung des Holocausts unter Strafe stellt. Der Verfassungsrat präzisiert zwar ausdrücklich, dass dieses Loi Gayssot vom jetzigen Gesetz streng zu unterscheiden ist. Dies vermag jedoch, aus einem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt, nicht zu überzeugen. Denn entweder ist die Bestrafung der Leugnung eines Völkermords verfassungswidrig, oder sie ist es nicht: Eine Unterscheidung nach dem jeweils geleugneten Völkermord würde ihrerseits gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen.

Der französische Präsident hat angekündigt, dass ein neuer Gesetzentwurf demnächst ausgearbeitet werden wird. Es bleibt zu hoffen, dass diesmal die Bestrafung der Völkermordleugnung gesetzliche Realität wird.

Welche indirekten Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsrats auf Deutschland und unsere laufende Petition zur Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs des §130 StGB besitzt, bleibt abzuwarten.

Uns stimmt bedenklich, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht bereits im November 2011 ein Urteil gefällt hat, das den bestehenden §130 aushebelt und praktisch die Völkermordleugnung auch der Schoah straflos macht (vgl. „http://www.sueddeutsche.de/politik/justiz-in-deutschland-wann-holocaustleugnung-legal-ist-1.1290218

Für den Opferschutz und die Prävention von Verbrechen gegen die Menschheit – einschließlich Genozid – sind beide Entwicklungen in Deutschland und Frankreich zutiefst bedauerlich.

29. Februar 2012
Vorstand der Arbeitsgruppe Anerkennung e.V.

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