Sehr geehrte Frau Ministerin Faeser,

die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft haben erneut zu zahlreichen Forderungen nach dem Verbot der so genannten Grauwolf-Bewegung bzw. ihrer Vereine und Symbole in Deutschland geführt. Zahlreiche inländische Menschenrechtsorganisationen – etwa die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), der Menschenrechtsverein Türkei-Deutschland (TÜDAY) – sowie Organisationen von Gemeinschaften, die durch die „Grauwölfe“ besonders bedroht sind, setzen sich erneut für ein Verbot ein.

Dieser Verbotsforderung schließt sich auch unsere Menschenrechtsorganisation an. Sie setzt sich seit ihrer Gründung 2003 geschichts- und erinnerungspolitisch für Völkerverständigung durch eine geschichts(selbst)kritische Vergangenheitsaufarbeitung ein. Dazu gehörte unsere Petition beim Deutschen Bundestag im April 2000 zur „Anerkennung“ bzw. Verurteilung des Genozids an über 3 Millionen indigenen Christen im Osmanischen Reich (Armenier, griechisch-orthodoxe sowie syro-aramäische Christen) im Zeitraum 1912-1922. 2005 sowie 2016 ist der Deutsche Bundestag dieser Forderung nachgekommen.

Die Nachfahren der betroffenen ethno-religiösen Opfergruppen – viele davon de facto-Flüchtlinge aus der Republik Türkei – sehen sich im Einwanderungsland Deutschland erneuter Belästigung und Bedrohung durch türkeistämmige Ultra-Nationalisten und Rassisten ausgesetzt.

Die Ideologie der „Grauwölfe“ entspringt dem Turanismus bzw.  Pantürkentum und somit der Ideologie der so genannten „Jungtürken“ und ihrer kemalistischen Nachfolger, unter deren Herrschaft vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg Armenier, Griechen und Syro-Aramäer bei Todesmärschen, Zwangsarbeit und Massakern vernichtet wurden und 1937/8 die alevitische und iranischsprachige Bevölkerung der zentralanatolischen Region Dersim massakriert und deportiert wurde, einschließlich der alevitisierten Nachfahren armenischer Genozidüberlebender.

Der „Wolfsgruß“ des türkischen Nationalspielers Merih Demiral am 2. Juli 2024 erfolgte wohl nicht zufällig am gleichen Tag, als alevitische und kurdische Gemeinschaften des Massakers an Teilnehmer:innen eines alevitischen Kulturfestivals in Sivas gedachten, wo vor 31 Jahren bei einem Brandanschlag islamistisch-nationalistischer Fanatiker auf das Hotel Madımak 35 Menschen umkamen. Dieses Foto zeigt die in einem Hotelzimmer verschanzten Opfer zwei Stunden vor ihrem Tod:

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Ideologie der „Grauwölfe“ als eine „nationalistische, antisemitische und rassistische rechtsextremistische Ideologie“ ein, „deren Wurzeln im Panturkismus/Turanismus liegen. (…) Die ideologische Bandbreite der Bewegung reicht von einem nationalistischen Kemalismus bis in den Randbereich des Islamismus.“[1] 12.100 Personen in Deutschland sind nach Schätzung des Bundesamts der Ülkücü-Bewegung und ihrer Ideologie zuzuordnen.

In einer Antwort zu einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke schrieb die Bundesregierung 2015:

„Der Ideologie der Ülkücü-Bewegung liegt eine Überhöhung der türkischen Ethnie, Sprache, Kultur und Nation zugrunde. Besonders ethnische Minderheiten in der Türkei werden als spaltende Kraft der Einheit der Türkei gesehen und deshalb abgelehnt. Die Ideologie der Ülkücü ist wesentlich von Feindbildern und Verschwörungstheorien geprägt. Das Spektrum der ‚inneren‘ und ‚äußeren‘ Feinde reicht dabei von den Kurden, Griechen und Armeniern bis zu den Juden, von den Europäern über die Chinesen bis zu den USA und dem Vatikan. Je nach aktueller politischer Lage wird ein Feindbild besonders in den Fokus genommen. Diese Überhöhung der eigenen Ethnie bei gleichzeitiger Herabsetzung anderer Ethnien widerspricht der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.“[2]

Unsere Nachbarstaaten Österreich und Frankreich zogen aus solchen Befunden die richtigen Schlüsse. In Österreich steht seit 2019 der Wolfsgruß auf einer Liste verbotener, extremistischer Symbole (§ 2 des Symbole-Gesetzes). Man macht sich strafbar, wenn man dort den Gruß zeigt und damit das Ideengut der „Grauen Wölfe“ gutheißt oder verbreitet. In Frankreich sind die „Grauwölfe“ seit November 2020 per Dekret verboten.

In Deutschland liegt mit einem Bundestagsbeschluss vom 18. November 2020 ein Auftrag an die Bundesregierung auf Verbotsprüfung vor. Geschehen ist seitdem in vier Jahren – nichts. Heute forderte In einem Antrag (20/12158) die Gruppe BSW die Bundesregierung auf, gegen die verbandlich in der Türkei organisierten „Grauen Wölfe“ ein Betätigungsverbot in Deutschland zu erlassen, „um das Werben um Mitglieder oder Unterstützer in Deutschland zu unterbinden und um das Rekrutierungs- und Finanzierungsnetzwerk der ,Grauen Wölfe‘ konsequent und lückenlos in Deutschland zu zerschlagen“.[3]

Doch die Voraussetzungen für ein Vereinsverbot sind hoch: Die Zwecke oder Tätigkeiten der der „Grauwolf“-Bewegung nahestehenden oder zugehörigen Vereine müssen Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Letzteres ist eindeutig der Fall.

Wir appellieren daher an Sie, Frau Faeser, angesichts der beunruhigend hohen Zahl von „Grauwolf“-Anhängern in Deutschland, ihren fortgesetzten Versuchen der Einflussnahme und ihres aggressiv-rassistischen Auftretens in Deutschland ebenfalls ein Verbot der Vereine und Symbole der „Grauwolf“-Bewegung zu verhängen.

In Erwartung Ihrer Antwort und mit freundlichen Grüßen

Dr.  phil. Tessa Hofmann (Vorsitzende)

[1] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/auslandsbezogener-extremismus/tuerkischer-rechtsextremismus-in-deutschland.html#doc1282226bodyText2

[2] https://dserver.bundestag.de/btd/18/054/1805466.pdf

[3] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1012474#:~:text=In%20der%20Vorlage%20f%C3%BChren%20die,die%20Bundesregierung%20auf%20Verbotspr%C3%BCfung%20vor.

Die Antwort aus dem Bundesministerium für Inneres und Heimat:

Az: PKII4.12017/1#1 – Hofmann, Tessa

Sehr geehrte Frau Dr. Hofmann,

ich bestätige den Eingang Ihrer an Frau Bundesministerin Nancy Faeser gerichteten Zuschrift. Bittte haben Sie Verständnis dafür, dass Frau Ministerin nicht alle an sie gerichteten Zuschriften persönlich beantworten kann. In der Regel übernimmt die Bürgerkommunikation im Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) diese Aufgabe.

Ihr Schreiben hat Frau Ministerin vorgelegen. Ich wurde gebeten, Ihnen zu antworten. In Ihrem Schreiben äußern Sie die Bitte, die Organisation „Graue Wölfe“ zu verbieten. Hierzu möchte ich Ihnen Folgendes mitteilen:

Der türkische Rechtsextremismus in Deutschland und insbesondere die Grauen Wölfe stehen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes im Bund und in den Ländern. Hier werden die rechtsstaatlichen Instrumente konsequent genutzt.

Ich bitte um Verständnis dafür, dass sich das BMI zu etwaigen Verbotsverfahren grundsätzlich nicht äußern kann, um mögliche künftige Maßnahmen nicht zu gefährden.

Mit freundlichen Grüßen

im Auftrag

Karin Bemmer

Bürgerkommunikation

im Bundesministerium des Innern und für Heimat